Sie war der Stern der Sterne. Auch dies war eine Ehre, die ihr dank göttlicher Fügung zustand, sie hatte nichts dafür getan. Sie nahm diese Honneurs huldvoll entgegen. Sie machte sich nicht viel daraus, denn ihrer Schönheit war sie sich bewusst. Für die Menschen hatte ihr Aussehen etwas Mystisches. Es war, als hätte Gott ein makelloses Gesicht erschaffen und es in der vollkommensten Form, die ihm entsprach, geformt und vollendet. Es war etwas so Reines und Klassisches in diesem Gesicht, dass man vermuten konnte, es wäre einst in Stein gemeißelt und würde wieder zu Stein. Es war undenkbar, dass es alt werden würde, und es war undenkbar, dass sie sterben könnte.
Ihr Körper war von gleicher Beschaffenheit wie ihr Gesicht. Er war schlank und geschmeidig und schien sich ohne jede Anstrengung zu bewegen. Sie ging gar nicht, sondern schritt mit flinken, pantherartigen Bewegungen aus. Ihre Schultern waren eckig und breit, ihre Brüste klein, ihre Hüften rund, ihre Hände lang und schmal und wunderschön geformt. Von den Schultern bis zu den Knien hatte sie die Finger eines Athleten, die Beine und Füße glichen denen eines Landmannes und waren um so schöner, weil sie solide und kräftig geformt waren. Ihr Körper glich dem einer Göttin, eines Kindes und einer reifen Frau. Selbst wenn sie sich wollüstig auf einem Bärenfell räkelte, ließ sich das einst schlaksige und langbeinige Kind nicht verleugnen. Ebenso wie ihr Gesicht wurde ihr Körper oft plötzlich unbeweglich, verlor sich in Meditation, und dann, ebenso schnell, wie sie lächelte, wurde ihr Körper wieder lebendig. Doch gefesselt von ihrem Gesicht, blieb ihr Körper für den Betrachter im Dunkeln. In der Verzauberung ihres Lächelns lag die Erfüllung sehnlichster Wünsche.
Für die Zuschauer war ihr Körper tatsächlich nicht so wichtig. Sie nahmen wahr, dass er sich durch den Raum bewegte, dass er elegant gekleidet war und ab und zu in die Arme eines Leinwand-Liebhabers fiel. Sie selbst war gegenwärtiger, wenn ihre Gesicht in Großaufnahme auf der Leinwand erschien. Sie existierte für ihr Publikum als ein Gesicht und eine Haltung. Als Homer versuchte, ein Bild von Helena zu vermitteln, schilderte er, wie sie den Festungswall von Troja entlang schritt, umweht von einem glänzenden Schleier. Aber er beschrieb niemals ihr Gesicht. Es genügte den Griechen, den Schleier zu sehen, um die Schönheit die sich dahinter verbarg, zu erahnen. Und es war nicht nötig, die Garbo zu beschreiben. Auch sie trug einen Schleier, der ihre Schönheit enthüllte und gleichzeitig verbarg. Ihre Fremdartigkeit war dem Zuschauer vertraut, aber sie blieb fremdartig. Doch vermittelte sie immer das Gefühl das déja vu. Wir haben sie schon einmal gesehen, aber wo? In einem Traum? Oder war es die Erinnerung an eine vor langer Zeit erzählten Geschichte? Oder sahen wir sie in einem anderen Leben? Wenn wir ihr nicht schon einmal begegnet sind, wie können wir unser Gefühl der Vertrautheit mit ihr erklären?
Keine anderen Filmschauspieler übte diese seltsame Wirkung auf uns aus. Vieldeutigkeit umgab sie, denn sie war beides: entrückt und sehr nah. Sie war von dieser Welt und sie war es doch nicht. Wir erblickten sie mit dem Schock den Erkennens, wie es Dante erging, als er Beatrice auf dem Ponte Vecchio begegnete, und im selben Augenblick erkannten wir wie Dante, dass wir sie schon einmal gesehen haben.
Der Stein des Anstoßes war ihre Schönheit, die fortwährend mit der Arroganz ihrer perfekten Proportionen überraschte. Sie hatte nichts mit gewöhnlicher Schönheit gemein, sie konnten keinen üblichen Zwecken dienen, ohne dass es verheerende Folgen gehabt hätte. Sie ruhte in sich selbst und gehorchte ihren eigenen Gesetzen. "Was also sollen wir glauben, wenn der Mensch dazu gelangte, jenes Schöne selbst rein, lauter und unvermischter zu sehen?" fragte Plato im Symposium. Und er antwortete, dass wir, wenn wir wirklich die vollkommene Schönheit sähen, in das Gesicht Gottes schauten, die schrecklichste und entsetzlichste Erfahrung, die man sich vorstellen kann. In der ersten der "Duinenser Elegien" sieht sich Rainer Maria Rilke, wie er in Verzweiflung zu den Engeln ruft: "Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Enge Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: Ich verging vor seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als das Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich." |